Veröffentlicht in Die Mediation - das Fachmagazin für Wirtschaft, Familie, Kultur und Verwaltung, Ausgabe 2/2016, S. 12
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Bernhard Böhm
âWer unbedacht Fragen stellt, kann sich schnell âdie Zunge verbrennenâ. Zumindest dann, wenn er Tabus bricht. Tabus schützen.
Wenn aber etwas nicht thematisiert wird, kann auch nicht darüber geredet werden. Veränderung ist nicht möglich. Aus Schutz wird Macht!
Vielleicht sollten wir hin und wieder Tabus infrage stellen!
âDie letzten Tabus sind gefallenâ
Leben wir wirklich in einer tabufreien Zeit, wie es uns gelegentlich suggeriert wird? Ich denke nein! Nach wie vor gibt es Tabus, über die wir nicht sprechen. Auch und gerade in Unternehmen: psychische Krankheiten, Homosexualität, Sucht, ßberlastung, ßberforderung oder Konflikte. Tabuthemen gibt es viele, etwa im Bereich der Political Correctness und bei ideologischen Fragen.
Tabus sind nicht direkt verbotene Handlungen oder âKommunikationsverboteâ. Sie basieren meist auf nonverbal vereinbartem Verhalten. Verbote können angesprochen, diskutiert und deren Sinn infrage gestellt werden. Tabus hingegen entziehen sich der Diskussion. Wer sie anspricht, tappt schnell in das berühmte âFettnäpfchenâ â oder die Fritteuse.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welche Tabus in Ihrem Unternehmen, Team oder in Ihrer Familie bestehen? Jedes System hat seine eigenen Tabus! Sie sind nicht leicht zu erkennen. Dabei gilt: je größer das System, umso stärker die Macht der Tabus. Ein Unternehmen kann seine ganz speziellen âTabuzonenâ haben. Diese schützen ein Thema vor Diskussion und Infragestellung. So können beispielweise Menschen vor offener Diskriminierung bewahrt werden, indem ihre psychische Erkrankung nicht angesprochen wird. Oder es werden âMächtigeâ wie etwa Vorgesetzte geschützt, weil ihnen unangenehme Fragen erspart bleiben.
Kehrseite dieses Schutzes sind Beschränkungen, Denkverbote und eingeschränkte Handlungsräume. Oder âversteckteâ, subtile Handlungen, die den Tabubruch nicht sofort als solchen erkennen lassen.
Die rote Linie ist überschritten!
Kommen Tabus direkt zur Sprache, wird es meist emotional. Die Ansprache wird als Grenzüberschreitung erlebt. Selbst wenn Tabus und ihre Verletzung dem Gesprächspartner nicht bewusst sind â was gerade im interkulturellen Kontext häufig der Fall ist â, darf er nicht mit Verständnis rechnen. Denn es gibt anders als bei Verstößen gegen explizite Regeln keine eindeutigen Lösungsmechanismen. Häufig wird die Kommunikation und Beziehung abgebrochen, der âTabubrecherâ verstoßen, gemieden oder verachtet.
Tabus als Entwicklungsbarriere
âEs gibt Dinge, über die spreche ich nicht einmal mit mir selbstâ, sagte einst Konrad Adenauer. Bei derartigen Tabus handelt es sich meist um solche, die wir uns selbst setzen â und mit denen wir uns schützen. Genaues Hinsehen fällt schwer, denn der Blick in den Spiegel kann schmerzhaft sein. Somit verhindern unsere âSchrankenâ, dass wir blinde Flecken erkennen und hinterfragen.
Hinterfragen: ja, mit âVorsichtâ
Das Erkennen von Tabus kann spannend sein. Es ermöglicht neue Blicke, kann Potenziale freisetzen. Manchmal platzt erst dann der Gordische Knoten, wenn etwas âausgesprochenâ wurde. Und die offene Ansprache entzieht Demagogen frühzeitig den Boden. Aus dem Verweis, âdarüber dürfe man ja nicht redenâ, lässt sich kein Profit mehr schlagen. Manche âTabufragenâ können aber auch verletzen und eine unabsehbare Wirkung und Dynamik entfalten. Hier ist Vorsicht geboten! Und manchmal reicht schon der Austausch in der Gruppe darüber, welche Fragen wir uns lieber nicht stellen sollten â weil sie Tabus berühren.
Autor RA Bernhard Böhm, MM., arbeitet seit Ende der 90er-Jahre als Mediator und ist Experte für Mediation und außergerichtliches Konfliktmanagement. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Mediation innerhalb und zwischen Organisationen bzw. Unternehmen sowie die Mediation im öffentlichen Bereich. Außerdem berät er bei der Umsetzung von innerbetrieblichen Konfliktmanagementsystemen. Als Ausbildungsleiter und Trainer hat er vor vielen Jahren gemeinsam mit Dr. Gernot Barth das Steinbeis-Ausbildungskonzept entwickelt und bildet seitdem Mediatorinnen und Mediatoren in Deutschland und ßsterreich aus.